Clara Hermine Moritz, geb. Mayer

Clara Hermine Moritz, geb. Mayer
* 26.10.1882 in Offenbach am Main, deportiert am 04.04.1942
ermordet in Piaski

Herzog-Wilhelm-Straße 9, München
Stolperstein verlegt am 23.04.2021

Biografie

Hermine Moritz wurde am 20. November 1891 in Offenbach am Main als Tochter eines Kaufmannsehepaars geboren. Am 6. Mai 1920 heiratet sie in ihrer Heimatstadt Offenbach den Juristen Maximilian Moritz, der am 26. Oktober 1882 in Miltenberg am Main geboren war. Auch seine Eltern waren Kaufleute. Hermine Mayer hatte ein zweijähriges Kindergartenseminar besucht und anschließend zwei weitere Jahre eine Krankenpflegeschule besucht. Während des Krieges von 1914 bis 1918 war sie Hilfsschwester beim Roten Kreuz gewesen.

Maximilian Moritz war der einzige von fünf Geschwistern, der ein Studium aufnahm und nicht den Kaufmannsberuf ergriff. Er hatte nach dem Besuch des Humanistischen Gymnasiums bereits 1908 – also zwölf Jahre vor seiner Eheschließung – seine Juristische Ausbildung mit dem 2. Staatsexamen abgeschlossen und lebte seit 1919 in München. Von 1915 bis 1919 war er Kriegsteilnehmer und wurde, weil er Jude war, lange Zeit nicht befördert. Obwohl er von allen Vorgesetzten als herausragend gelobt wurde, erhielt er erst sehr spät die ihm gebührende Auszeichnung, das Eiserne Kreuz II. Klasse. Im Februar 1919 wurde er als Oberleutnant von der Truppe entlassen und kehrte unmittelbar danach in den Justizdienst zurück.

Das Ehepaar Moritz bekam in kurzem Abstand zwei Söhne: Im Mai 1921 wurde Ludwig Alfred und im Dezember 1922 Ernst August geboren. Noch im Schuljahrbuch1 1936 des Maximiliansgymnasiums in München sind beide Jungen – Alfred in der 6b, Ernst in der 4b – verzeichnet. Sie sind zwei der insgesamt noch drei „israelitischen“ Schüler an diesem Gymnasium. 1937 werden die beiden Brüder von ihren Eltern nach England geschickt. Alfred wurde mit Stipendium an der St. Paul’s School in London aufgenommen; 1939 erhielt er nach seinem guten Schulabschluss ein weiteres Stipendium für Oxford2.

Dem Juristen Maximilian Moritz werden in Beurteilungen immer wieder überragende Fähigkeiten attestiert. Dennoch wird er erst sehr spät zum Landgerichtsrat befördert. Im Bayerischen Justizdienst wird ihm eine angemessene Karriere verwehrt: Bereits am 5. April 1933 wird ihm die bisherige Leitung der Referendarausbildung entzogen. Zwar kann er als Kriegsteilnehmer nicht so ohne weiteres entlassen werden. Als er aber im Fragebogen zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums am 7. April 1933 wahrheitsgemäß angibt, dass er von September 1919 bis Februar 1933 Mitglied der SPD gewesen ist, wird ihm dies zur Gefahr. Da hilft es auch nichts, dass er in einem Nachsatz beteuert, dass er nie politisch aktiv gewesen sei und die Mitgliedschaft bei den Sozialdemokraten einer persönlichen Freundschaft geschuldet sei. Positive Zeugnisse seiner Kriegskameraden, die ihm Tapferkeit, nationale Gesinnung und Kameradschaftlichkeit bescheinigen, verhindern die sofortige Entlassung durch den Justizminister Frank. Doch schon im November desselben Jahres wird er in den sofortigen Ruhestand versetzt. Nach dem 10. November 1938 wird er in Dachau inhaftiert und erst einen Monat später, am 13. Dezember, entlassen.

Im März 1939 wurden Juden alle Wertpapiere entzogen, das Gesetz dafür hatte Wilhelm Kißkalt, der Generaldirektor der Münchner Rückversicherung, maßgeblich verfasst. Noch heute ist der Platz an der Kreuzung Martiusstraße/Kaulbachstraße nach dem flammenden Antisemiten Kißkalt benannt. Auf Grundlage dieses Gesetzes wurden die Bankguthaben jüdischer Bürgerinnen und Bürger beschlagnahmt; Wertgegenstände wie Gold, Schmuck und Silberbesteck mussten abgeliefert werden. Das Ehepaar Moritz wurde aus seiner Wohnung in der Georgenstraße geworfen und musste alles Hab und Gut zurücklassen; die Israelitische Kultusgemeinde musste den Obdachlosen eine Unterkunft zuweisen. So bezogen sie die Wohnung in der Herzog-Wilhelm-Straße 5 (heute 9) im II. Stock, bevor sie am 4. April 1942 nach Piaski deportiert wurden.

Aus verschiedenen Quellen lassen sich die Schicksale der Söhne von Maximilian und Hermine-Clara Moritz nachvollziehen. Der jüngere der beiden, Ernst Moritz, wurde nach Beginn des Krieges nicht in England interniert, sondern nach Kanada transportiert und war später nach seiner Rückkehr Unternehmensberater in Manchester3. Sein älterer Bruder, Alfred Moritz, wurde Professor für Klassische Sprachen und Literatur an der Universität in Cardiff, Wales. Alfred Moritz starb 2003; seine Veröffentlichungen sind zum Teil noch heute erhältlich. Seine Frau Doris Rath (*1924) war 1939 aus Kerpen am Niederrhein mit einem Kindertransport nach England gerettet worden. Sie wurde in London Lehrerin und war auch immer berufstätig. Alfred und Doris haben zwei Kinder: Sir Michael Moritz, ein sehr erfolgreicher Unternehmer in Amerika, wurde 2013 für seine Verdienste um Great Britain geadelt. Tochter Clare wurde Anwältin und lebt heute in Wimbledom.

1 Maximiliansgymnasium München 1936 Jahrbuch, online besucht am 9.11.2020. Die Schülerstatistik der Schule führt zum letzten Mal „Israeliten“ auf. Es gibt nur noch drei: Edgar Feuchtwanger in der Klasse 2b, Ernst Moritz in der 4b und Alfred Moritz in der 6b

2 The Times Obituary 20.Januar 2003: “He died on January 7, 2003, aged 81. Alfred Moritz was born in Munich; his father was a judge who lost his job in 1933 after the Nazis came to power. Moritz was educated at the Maxgymnasium in Munich until 1937 when, barely able to speak a word of English, he was sent to England by his parents and secured a scholarship at St Paul’s School, London. In 1939 he was awarded a scholarship to Merton College, Oxford, where he read Greats until his studies were interrupted by the outbreak of war. After his release from internment in 1941 he was permitted to engage only in factory and agricultural work because of his German passport and status as a registered alien.
Anmerkung: “GREATS“ bedeuted umgangssprachlich im englischen Universitätskontext, dass jemand Latein und Altgriechisch zusammen mit Geschichte und Philosophie des klassischen Altertums so beherrscht, dass er die klassischen Texte flüssig lesen und deuten kann.

3 Dies geht aus einer im Münchner Stadtarchiv einzusehenden Korrespondenz zwischen Dr. Andreas Heusler und Ernst Moritz hervor.

Janne Weinzierl 9.November 2020